Donnerstag, 25. Juni 2015



sie war sicherlich schon an die 70. ihr gesicht war von falten überzogen. tiefe furchen, wie spuren, die ein intensives leben hinterlassen hatte.  ihre augen waren mit einem blauen  kajal umrandet. schimmernder lidschatten hatte sich in ihren augenfalten abgesetzt. und ihre schlecht gefärbte, in die jahre gekommene vokuhila-frisur war nur der gipfel der  geschmacklosigkeit. sie stöhnte laut auf. "oh man ich hab keine lust mehr! wann bin ich endlich dran", jammerte sie in den raum. irritiert blickten die anderen im wartezimmer auf. vollends verwirrt über so viel schamlosigkeit.  "mannooooo!" hemmungslos trommelte die frau auf den griffen ihres rollators. ihre hände waren knöchern und an jedem einzelnen finger war ein ring. allesamt in gold und silber - abwechselnd. ihr blaugrüner nagellack blätterte  an einigen stellen ab. sie wirkte nervös. neben ihr saß ein junges mädchen. sie hatte ihre schulssachen rausgeholt und lernte. die alte beugte sich zu ihr rüber und raunte laut "du bist ziemlich fleißig oder?" ihre fahne nach billigen fusel zog bis zu mir rüber. das mädchen errötete und lächelte beschämt.  in einer phase, in der ihr alles und jeder irgendwie peinlich war, machte die ansprache der alten,  in einem raum voller fremder menschen, sie absolut befangen und unsicher. das schamgefühl war ihr ins gesicht geschrieben. ich selbst erwischte mich dabei, wie ich mir wünschte die frau würde einfach den raum verlassen. sie war laut. ungehalten.  im grunde genommen einfach nervtötend. doch das schlimmste war: ich schämte mich für sie. voller fremdscham versteckte ich mich hinter einer völlig zerlesenen ärztezeitschrift. langsam aber sicher fing sie an mir leid zu tun. der mann neben mir schüttelte verächtlich den kopf. und ich war mir gerade nicht mehr sicher, was ich ekelhafter fand: die wahnsinnige nach alkoholstinkende alte oder die anderen, die zwar alle gut erzogen ordnungsbewusst den mund hielten, dafür aber vor hochmut, geringschätzung und überheblichkeit nur so strotzten. 
 

Mittwoch, 17. Juni 2015

you have to die a few times before you can really live



wir sind abgehärtet.
können eine menge ertragen. vieles prallt schon an der oberfläche ab. aber ist hart sein menschlich? es bedeutet sich zu verschließen, auszuweichen.
jeder herausforderung, jedem leiden, aber auch jeder verlockung, jedem gefühl.  so kracht man gewiss nicht gegen wände, aber man lässt es auch niemals richtig krachen. was bleibt ist der fade beigeschmack der sehnsucht. 
die antriebslosigkeit alles hinzunehmen oder zu dulden ist eine art von leidenschaftslosigkeit, die ich nicht nachempfinden kann. meine gefühle übermannen mich jedes mal aufs neue. sie treffen mich. volle breitseite. doch ich will es so. intensiv. lieber ertrage ich die tragik in ihrer vollen größe und mache mich angreifbar. ich will keine halben sachen. ich will kämpfen. ich will leiden. ich will triumphieren. mit allem was ich hab. mit allen sinnen. mit allen konsequenzen. leidenschaft macht uns zwar angreifbar, aber um die liebe mit offenen armen zu empfangen, müssen wir verletzlich sein. jeder versuch dies zu unterdrücken, bringt uns um die liebe. und somit auch um unser glück. denn auch hermann hesse hat einmal gesagt: "glück ist liebe. wer lieben kann, ist glücklich". wer in vollen zügen leben will, muss das risiko eingehen verletzt zu werden. zu scheitern. wer lieben will, muss riskieren zu leiden.


the wildest of hearts will never be tamed.

Mittwoch, 10. Juni 2015




wahnsinn, so goethe, sei es „wenn man von der wahren beschaffenheit der gegenstände und verhältnisse, mit denen man es zu tun habe, weder kenntnis habe noch nehmen wolle, diese beschaffenheit hartnäckig ignoriere.” -  viel zu viele menschen mit zu viel macht und zu viel geltungssucht und dem damit verbundenen größenwahn sind demnach vom wahnsinn befallen. doch dass genie und wahnsinn oft nahe beieinander liegen sollen, gibt einen funken hoffnung, dass noch nicht alles verloren ist in dieser zutiefst wahnsinnig gewordenen welt.